Skor: Tagebuch Mai 2016

Sterben wie die Fliegen

Intern

Da soll ich also für die geneigte Leserschaft des DpS ein Tagebuch schreiben. Über den Alltag in unserer kleinen Kammerjägerei am Waldesrand. „Hoffentlich passiert auch mal irgendwas Spannendes“, dachte ich nach dem Telefonat mit der (Dagmar) Rose der Schädlingsbekämpfung noch so bei mir, als die Freisprechanlage des Autos signalisiert, dass am Ende der Leitung schon wieder jemand etwas von mir möchte. Warum? Warum nur fängt das Teil immer dann an zu quaken, wenn gerade ein interessanter Redebeitrag im Radio läuft? Kilometerlang passiert nichts. Stumm! Sowohl Inge (das ist die Dame aus meinem Navigationsgerät), als auch die Freisprechanlage. Absolute Ruhe. Doch sobald ein spannender Bericht im Radio kommt, meldet sich entweder Inge oder das Telefon oder beides. Egal. Unser Büro ist dran. „Ja Diana, was gibt’s?“ „Hör mal, Volker. Kannst Du nächste Woche Montag nach Gelsenkirchen? Fundleiche?“ Natürlich kann ich. Muss ich ja wohl sogar. Da fängt die kommende Woche ja direkt stimmungsvoll an. Zumindest hätte ich schon mal den ersten Beitrag für das Tagebuch im Sack, wenn ich meiner Erfahrung Glauben schenken darf.
 

Draußen

Aber zuerst bin ich mit einem Mitarbeiter an einem Objekt in Mülheim verabredet. Hier ist infolge der Befallsituation eine regelrechte Perforierung des Bodens feststellbar. Obwohl der Kollege bei bisher jeder der zahlreichen Nachbeköderungen den Hinweis auf defekte Rohrleitungen in den Bearbeitungsbericht aufgenommen hat, ist die Eigentümerin wohl nicht bereit, so viel Geld in die Hand zu
nehmen … Das Problem an diesem Objekt sind nun weniger die pathogenen Keime, resultierend aus den Ausscheidungen der Nager, sondern vielmehr der Umstand, dass sich hier jedes Kind ganz einfach die Haxen brechen kann, wenn es unbedacht über die Wiese marschiert. Nach kurzer Überlegung sperren wir den ganzen Bereich einfach großräumig mit Flatterband ab. Was sollen wir sonst tun?

Drinnen

Endlich Montag. Endlich Fundleichentag. Eigentlich spielt das Datum auch keine große Rolle mehr bei dieser Art von Arbeit. Aber irgendwer muss es ja machen. Nützt ja nix. Also mit einem Kollegen vor dem Objekt getroffen und die Frage des Hausmeisters, der den Schlüssel für die Wohnung hat, ordnungsgemäß beantwortet. „Seid Ihr die Kammerjäger?“ „Nein, wir sind die Avon-Beraterinnen.“ Manchmal haben wir auch Spaß bei der Arbeit. Jetzt noch rasch die Ritterrüstung, also den Schutzanzug angelegt und rein ins Glück. Aber erst noch den neugierigen Hausmeister weggeschickt. „Wir kommen zurecht, danke.“ Was uns in solchen Wohnungen erwartet, wissen wir nie. Aber wenn jemand acht Wochen tot in seiner Behausung gelegen hat, rechnet man nicht mit einem Rahmenprogramm, auf das Vergnügungssteuern fällig werden. Wir entscheiden uns zunächst für einen Akutangriff im Sprüh-/Nebelverfahren, um nach der Entrümpelung durch eine befreundete Firma dann noch einmal etwas intensiver gegen Speckkäferbefall vorzugehen. Insbesondere im Treppenhaus müssen wir aber auch noch etwas gegen den Geruch unternehmen. Obwohl … Wie kann ein Mensch acht Wochen in der Bude eines Fünf-Parteien-Hauses liegen und keiner der Mitbewohner merkt etwas? Eigentlich sollte man die mit dem Gestank alleine lassen …

Ärger des Monats

Morgens sitze ich im Büro und versuche mal wieder, eine Rechnungsanschrift in der Maske unseres Rechnungsprogramms unterzubekommen. Meist gelingt es mir ja, aber die Sache wird von Jahr zu Jahr schwieriger … Die Postfach- Anschrift mit dreizeiligem Empfänger will erst einmal untergebracht werden. Als kleines Sahnetupferl obenauf muss jetzt noch der Leistungsempfänger aufgeführt sein. Da frage ich mich doch jedes Mal, warum ICH eigentlich dem Finanzamt immer so viel Geld überweisen muss? Immerhin erledigen WIR ja DEREN Job! Als dann auch noch die Post reinkommt und ich die Zahlungsaufforderung für meine Zwangsmitgliedschaft in der IHK finde, ist der Tag gegessen. Vor allem unter dem Aspekt, dass wir uns seit Wochen darum bemühen, von denen einen Ausbildungsvertrag zugestellt zu bekommen. Bevor meine Halsschlagadern mal wieder zu Gardenaschläuchen anschwellen, bringt mir meine Kollegin auch schon einen frischen Kaffee an den Schreibtisch.

Auch diese Woche geht vorüber. Doch kaum bin ich wieder in Essen, darf ich mich Freitag schon wieder mit einem Mitarbeiter vor einer Fundleichenwohnung treffen. Im Moment bin ich mir nicht sicher, ob das Sprichwort besagt, dass „die Leute sterben, wie die Fliegen“ oder dass „die Fliegen sterben, wie die Leute“. Eins ist gewiss: Bei den toten Leuten sterben ziemlich viele Fliegen, wobei es diesen Kameraden wohl im wahrsten Sinne des Wortes „aus der Buchse gekloppt hat“, wie man hier im Ruhrpott zu sagen pflegt. Nun sehe ich schon einige Mitbewerber die Nase rümpfen: „Wie kann man nur so pietätlos sein? Was ist der Skor nur für ein Typ?" Ganz einfach: Einige Bilder im Kopf kann man nur mit einem gewissen psychischen Schutzmechanismus verarbeiten. Meiner besteht daraus, die Sache nicht ganz so ernst zu nehmen.

Draußen

Ratten, Ratten, Ratten. Aber in Zeiten, wo viele Menschen nicht begreifen, dass sie ihren Müll in die Tonne werfen müssen statt daneben, ist das Problem eher steigend denn abnehmend. Insbesondere die Mitbürger, deren Zielgenauigkeit ein wenig zu wünschen übrig lässt, sorgen für viel Missgunst bei den Hausverwaltungen… Aber machen wir uns mal nichts vor: Ganz so einfach ist es ja nun wirklich nicht, aus dem geöffneten Fenster der vierten Etage das runde Loch des achtzig Meter entfernt stehenden Müllcontainers zu treffen. Noch dazu, wenn dieser verschlossen ist. Ein großes Problem sind bei uns im wilden Westen tatsächlich diese Sammelbehältnisse für Abfall jedweder Art. Sind diese Waschbeton- Container voll, fällt der gesamte Abfall hinten rüber und verweilt im Inneren des Kastens. Irgendwann fühlt sich im besten Fall ein Hausmeister oder sonst wer bemüßigt, den ganzen Scheiß zurück in einen der mittlerweile wieder geleerten Container zu befördern. Oder auch nicht.

Eigentlich sind wir ja von der Hausverwaltung nur beauftragt worden, den Dachboden von Taubenkot zu befreien. Aber wo wir schon mal im Haus wären, sollten wir uns direkt die Wohnung in der zweiten Etage mal ansehen. Die Betreuerin des Delinquenten würde zum Objekt kommen und uns aufschließen. Ja nun. Bei „schöner wohnen“ wird man mit der Raumgestaltung sicherlich keine Chancen haben. Von der Betreuerin erfahren wir, dass ihr Schützling abgetaucht sei. Die Wohnung ist bereits gekündigt. In solchen Fällen fragen wir uns immer, welche Funktion diese „Betreuer“ eigentlich bekleiden und wofür die unsere Steuergelder bekommen. In jedem Fall nicht für den Hinweis, die Wohnung mal aufzuräumen, würde ich sagen. Wie dem auch sei, raten wir der „Betreuerin“ zu einer ersten Akutbekämpfung im Sprüh-/Nebelverfahren mit anschließender Geruchsbekämpfung und der Desinfektion einiger neuralgischer Oberflächen. Anschließend sollte die „Wohnung“ entrümpelt werden. Danach kommen wir noch mal wieder. Um eine etwas gezieltere Maßnahme folgen zu lassen. Aber niemand wird es je erfahren, da dieses Tagebuch eine einmalige Sache für mich bleiben wird.

 

 

Freude des Monats

Das Wochenende wird kurz, denn am Sonntag fahre ich ins schöne Stadtoldendorf. Hier erwarten mich von Montag bis Donnerstag einige hoffentlich wissbegierige Zuhörer in meiner Eigenschaft als Dozent. Meine Frau ist Kummer mit mir gewohnt und der temporäre Abschied für einige Tage fällt jedes Mal aufs Neue unangenehm aus Zumindest für mich. Na,ja. Auf der anderen Seite freue ich mich dafür stets auf ein Wiedersehen mit meinen Freunden von IPMpro.

Unser Tagebuch-Autor

Volker Skor: Zunächst hat er eine handwerkliche Ausbildung in der Lebensmittelbranche und eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Es folgten der geprüfte Desinfektor und – folgerichtig – der Schädlingsbekämpfer bei der IHK. Seit fast 20 Jahren ist Volker Skor selbstständig und hat seine Firma SKOR Schädlingsbekämpfung in Essen aufgebaut. Er beschäftigt dort fünf bis sieben Mitarbeiter. Zusätzlich arbeitet er als Dozent, erst bei der Berufsfeuerwehr Essen, jetzt für IPMpro, für die er auch als Prüfer und Auditor tätig ist. Tipp: Wer mehr von Volker Skor lesen möchte, kann sich sein Buch „Revierförster: Ein Kammerjäger aus dem Ruhrgebiet am Rande des Wahnsinns“ zu Gemüte führen. Es enthält 18 Kurzgeschichten.